graphic

Placebos haben keinen guten Leumund. Wenn wir einer Intervention die «echte» Wirksamkeit absprechen wollen, sagen wir: «Ist ja nur Placebo», und meinen damit: Wirkt nur, weil sich der Patient eine Wirkung einbildet. Oder anders ausgedrückt: Wirkt aufgrund psychologischer Faktoren, wie etwa der Hoffnung, der Erwartung, der Entspannung, der Angstreduktion [1].

Ich mag Placebos. Ich finde, wenn ein Arzt es schafft, einen Patienten zu heilen, ohne irgendwelches schwere pharmakologische oder chirurgische Geschütz aufzufahren, dann ist das allemal das Beste.

Offenbar muss man Placebos aber vor allem in einem Beziehungskontext sehen. Eine Selbstsuggestion, obwohl sie vielleicht manchmal funktioniert, ist nicht der normale Weg der Heilung. Dazu gehört meistens ein Therapeut oder eine Ärztin, die dem Hilfesuchenden Sicherheit vermittelt und die Angst nimmt. Insofern ist Placebo ein Beziehungsgeschehen. Das hat vor kurzem eine experimentelle Studie eindrücklich bestätigt [2, 3]. In einem Experiment haben Studenten, die später als «Ärzte» anderen Studenten eine Placebointervention nahe bringen sollten, zunächst eine Erfahrung mit einem angeblich schmerzreduzierenden Placebo gemacht. Man hatte sie in Konditionierungsversuchen davon überzeugt, dass die Placebocreme Schmerzen lindert. Danach mussten sie diese oder eine andere Creme, die sie für die Kontrollcreme hielten, die aber de facto die gleiche war, anderen experimentellen «Studentenpatienten» vermitteln. Eine Kamera, die auf den Köpfen angebracht war, zeigte, dass vor allem die nonverbalen Signale, Gesichtsveränderungen, Lächeln etc. diese Sicherheit vermitteln. Die an sich unwirksame Placebocreme linderte tatsächlich Schmerzen, wenn sie von «Doktoren» gegeben wird, die von der Wirksamkeit überzeugt sind.

Der Arzt, der ein Medikament verschreibt, ohne selber von dessen Wirkung überzeugt zu sein, wird damit wenig Erfolg haben.

Es dürfte also weniger die verbale Botschaft oder die bewusst vermittelte Information sein, die Placeboeffekte auslöst, als die nonverbale Mitteilung. Der Arzt, der ein Medikament verschreibt, ohne selber von dessen Wirkung überzeugt zu sein, wird damit wenig Erfolg haben. Und die Therapeutin, die ein Wundermittel übergibt, z.B. «Wasser, das eine Woche im Vollmond stehend mit Edelkristallen versetzt war, damit sich die Engel-energie sammeln kann», an das sie und der Patient fest glauben, wird damit vielleicht auch schwere Zustände heilen können.

In die andere Richtung fährt auch ein Zug: Wenn wir in Menschen so richtig Angst auslösen und die Erwartung des Schlimmsten installieren, dann ist die Chance, dass genau das eintritt, groß.

Wir versuchen in unserem Wissenschaftskontext gerne «die Wahrheit» herauszufinden. Das ist ein Relikt positivistischen Denkens, das in der Biologie und in der Medizin noch weit verbreitet ist. In der Wissenschaftsforschung ist dies aber schon längst überwunden, spätestens seit Popper gezeigt hat, dass dieses positivistische Wissenschaftsmodell nicht funktionieren kann [4] und seit Hanson gezeigt hat, dass es keine theoriefreie Beobachtung geben kann [5]. Man kann in experimentellen Studien den Effekt einer pharmakologischen Substanz isolieren. Das ist auch für manche Zwecke, etwa die Zulassung, wichtig und sinnvoll. Aber spätestens wenn es um den konkreten Anwendungskontext geht, zeigt sich: Dieser Effekt ist in der Praxis in aller Regel abhängig von der Modulation von Erwartung durch den Behandler und den Patienten.

Die eigentliche therapeutische Potenz entfaltet ein Medikament meist erst im Kontext, in der therapeutischen Beziehung, in der Einbettung in ein komplexes Zeichensystem aus Forschungsdaten, Hochglanzbroschüren, Erfahrungsberichten und Fortbildungsvorträgen. Wir sind, ob wir es mögen oder nicht, in einer Zeit gelandet, in der die Verpackung und die nonverbale Botschaft das Wichtigste ist. Willkommen im Placebozän.

Prof. Dr. Dr. phil. Harald Walach

1.
Frank
JD
.
Die Heiler: Wirkungsweisen psychotherapeutischer Beeinflussung; vom Schamanismus bis zu den modernen Therapien
.
Stuttgart
:
Klett-Cotta
;
1981
.
2.
Chen
PA
,
Cheong
JH
,
Jolly
E
,
Elhence
H
,
Wager
TD
,
Chang
LJ
.
Socially transmitted placebo effects
.
Nat Hum Behav
.
2019
;
3
(
12
):
1295
305
. .
3.
Walach
H
.
Subtle cues transmit placebo effects
.
Nat Hum Behav
.
2019
;
3
(
12
):
1246
7
. .
4.
Popper
KR
.
Logik der Forschung
. ed 6.
Tübingen
:
J.C.B. Mohr
;
1976
.,
5.
Hanson
NR
.
Perception and Discovery. An Introduction to Scientific Inquiry
. ed 2.
Cham
:
Springer
;
2018
.
Copyright / Drug Dosage / Disclaimer
Copyright: All rights reserved. No part of this publication may be translated into other languages, reproduced or utilized in any form or by any means, electronic or mechanical, including photocopying, recording, microcopying, or by any information storage and retrieval system, without permission in writing from the publisher.
Drug Dosage: The authors and the publisher have exerted every effort to ensure that drug selection and dosage set forth in this text are in accord with current recommendations and practice at the time of publication. However, in view of ongoing research, changes in government regulations, and the constant flow of information relating to drug therapy and drug reactions, the reader is urged to check the package insert for each drug for any changes in indications and dosage and for added warnings and precautions. This is particularly important when the recommended agent is a new and/or infrequently employed drug.
Disclaimer: The statements, opinions and data contained in this publication are solely those of the individual authors and contributors and not of the publishers and the editor(s). The appearance of advertisements or/and product references in the publication is not a warranty, endorsement, or approval of the products or services advertised or of their effectiveness, quality or safety. The publisher and the editor(s) disclaim responsibility for any injury to persons or property resulting from any ideas, methods, instructions or products referred to in the content or advertisements.