Die Riesenzellarteriitis als häufigste Manifestation einer Großgefäßvaskulitis im Alter über 50 Jahren wird nach wie vor mit einer großen Zeitverzögerung diagnostiziert. Klinische Zeichen und entsprechende Symptomatik werden hier noch einmal kurz dargestellt und sollen bei der möglichst raschen Diagnosefindung helfen. Selbst nach Diagnosestellung herrscht oft Unsicherheit darüber, wer eine spezialisierte Betreuung wann vornehmen sollte und wie eine optimale Therapiestrategie aussehen sollte. Die aktuellen Empfehlungen zum Management der Riesenzellarteriitis tragen dem Rechnung und stellen eine klar strukturierte Vorgehensweise dar. Hierzu gehört auch die möglichst rasche Zuweisung an ein spezialisiertes Zentrum.

Die Riesenzellarteriitis (RZA) stellt die häufigste Manifestation der Großgefäßvaskulitiden neben der Takayasu-Arteriitis (TAK) dar. Eine rasche und verlässliche Diagnostik zur unmittelbaren Therapieeinleitung ist dringlich indiziert, um neben der Symptomkontrolle gefürchtete unmittelbare Komplikationen wie Erblindung (RZA) und langfristige Komplikationen eines Aortenaneurysmas mit Rupturgefahr und/oder aortale Stenosen (RZA und TAK) zu vermeiden. Bislang galt die Gabe von Glucocorticoiden als Therapiestandard. Lediglich die Dosis wurde je nach okulärer oder nicht okulärer Manifestation unterschiedlich hoch empfohlen - mit erwartungsgemäß hoher Rate an Nebenwirkungen.

Seit den letzten Empfehlungen der European League Against Rheumatism (EULAR) aus dem Jahr 2009 [1 ]sind zahlreiche innovative Therapiekonzepte mit gezielter Blockade einzelner Zytokine hinzugetreten. Eines der Immunsuppressiva hat nach entsprechenden Phase-II- und Phase-III-Studien die Zulassung zur Therapie der RZA erhalten. Somit ist der Interleukin-6-Antagonist Tocilizumab das einzig zugelassene Medikament zur Behandlung der RZA, auch in Deutschland [2,3]. Die EULAR-Empfehlung trägt dem Rechnung. Das altbewährte Methotrexat wird alternativ empfohlen.

Diese Empfehlungen sind jedoch nicht pauschal für alle Patienten gleich gestaltet. Eine Differenzierung u.a. nach Krankheitsschwere, Manifestationen und Nebenwirkungen der Standardtherapie war zum einen nötig und ist zum anderen mittels neuer diagnostischer Möglichkeiten auch für die meisten behandelnden Kolleginnen und Kollegen rasch verfügbar.

20 klinische Experten aus 13 Ländern haben sich zusammengefunden, um die aktuelle Studiensituation zur sicheren Diagnostik und möglichen Therapie zusammenzutragen und in Bezug auf deren klinische Relevanz zu werten. Die bereits bestehenden, aktualisierten EULAR-Empfehlungen zur Diagnostik der Großgefäßvaskulitiden wurden hierbei ebenfalls berücksichtigt [4].

Umfassende Prinzipien

Patienten mit einer RZA sollten die bestmögliche Versorgung erhalten. Dies beginnt bei der Information über die Krankheit, deren Aktivitätszeichen und möglichen Komplikationen, beinhaltet aber auch das Wissen über mögliche Therapien, deren Wirksamkeit, mögliche Nebenwirkungen und Kosten. Last not least sollte die Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Therapie vom Betroffenen gemeinsam mit dem behandelnden Rheumatologen getroffen werden («shared decision making»). Auch im weiteren Verlauf gehört das Screening auf Therapie-assoziierte und/oder kardiovaskuläre Komorbiditäten genauso zur Versorgung wie der hierauf bezogene Hinweis zur persönlichen Optimierung des Lebensstiles.

Was wie selbstverständlich klingt, war den Autoren als oberstes Prinzip der Patientenversorgung wichtig, und scheint eben doch noch nicht der überall gültige Standard zu sein.

Spezialisierte Diagnostik und Therapieeinleitung

Jeder Patient mit Zeichen einer RZA sollte unmittelbar an ein spezialisiertes - und in den meisten Fällen eingespieltes interdisziplinäres - Team zugewiesen werden. Bei TAK-Verdacht sollte ebenfalls eine spezialisierte Zuweisung erfolgen, die Dringlichkeit richtet sich hier nach der aktuellen Manifestation und ist zumeist nicht notfallmäßig indiziert. Vaskuläre Akutkomplikationen mit unmittelbarem und ggf. auch akut interventionsbedürftigem Gefäßproblem bilden selbstverständlich eine Ausnahme.

Im Weiteren wird hier hauptsächlich auf die Empfehlungen zur RZA eingegangen.

Umgehende Bestätigung der Diagnose mittels Bildgebung oder Histologie

Der Verdacht auf das Vorliegen einer RZA (Leitsymptome s. Tab. 1) sollte unmittelbar bestätigt werden, entweder durch eine adäquate Bildgebung (Magnetresonanz (MR)-Angiographie für temporale oder andere kranielle Arterien, Ultraschall, Computertomografie (CT), Positronen-Emissions-Tomografie (PET)-CT oder MR-Angiographie für thorako-abdominale aortale/extrakranielle Gefäße) oder durch Histologie (in der Regel Temporalarterienbiopsie). Dies ist angelehnt an die bereits zitierten EULAR-Empfehlungen zur Bildgebung bei Verdacht auf RZA.

Table 1

Zeichen für eine Riesenzellarteriitis

Zeichen für eine Riesenzellarteriitis
Zeichen für eine Riesenzellarteriitis

Therapie

Der unmittelbare Einsatz von Prednison in einer Äquivalenzdosis von 40-60 mg/d zur Einleitung einer Remission wird klar empfohlen, sowohl bei RZA als auch bei TAK.

Nach Erreichen einer Krankheitskontrolle (d.h. Abwesenheit klinischer Zeichen und Normalisierung der serologischen Inflammationsparameter) sollte die Prednison-Dosis innerhalb von 2-3 Monaten auf 15-20 mg/d und schließlich nach 1 Jahr bei RZA auf < 5 mg/d und bei TAK auf < 10 mg/d gesenkt werden.

Bei Patienten mit akutem Visusverlust oder Amaurosis fugax sollte unmittelbar eine Glucocorticoidtherapie mit Methylprednisolon in die Wege geleitet werden in einer Dosierung von i.v. 0,25-1 g/d an 3 aufeinanderfolgenden Tagen. Aufgrund eines drohenden Visusverlustes kontralateral bei bereits einseitiger Amaurose und möglichem Visusverlust bei anderweitigen ischämischen Augenmanifestationen ist hierbei nicht auf das Ergebnis einer Diagnostik zu warten sondern umgehend (ggf. auch ambulant) zu therapieren (Abb. 1).

Fig. 1

Stufe I: Therapieschema bei Riesenzellarteriitis (RZA).

Fig. 1

Stufe I: Therapieschema bei Riesenzellarteriitis (RZA).

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Der drohende Visusverlust bei RZA (bekannt oder auch bei Verdacht) gilt als Notfall!

Eine zusätzliche Medikation mit Tocilizumab wird empfohlen für RZA-Patienten mit folgenden Komplikationen: fehlendes Therapieansprechen, Vorhandensein oder erhöhtes Risiko für eine Prednison-bedingte Nebenwirkung oder Komplikation oder «major relapse». Ein «major relapse» wird hierbei beschrieben als Vorhandensein von Zeichen oder Symptomen einer Ischämie oder dem Vorliegen einer progressiven Gefäßinflammation. Alternativ zu Tocilizumab kann Methotrexat eingesetzt werden.

Therapie bei Komplikationen

Bei Auftreten eines «major relapse» wird erneut mit der Einleitung der Prednisontherapie wie zu Beginn der Behandlung gestartet.

Im Fall eines «minor relapse» wird empfohlen, mindestens wieder auf die zuletzt wirksame Dosis zurückzugehen. Eventuell ist dies auch der Zeitpunkt, um über die Hinzunahme einer Zusatzmedikation (Tocilizumab oder Methotrexat) zu diskutieren. Sollten weitere Rückfälle auftreten, ist die Indikation zur Zusatzmedikation klar gegeben (Abb. 2).

Fig. 2

Stufe II: Zusatzmedikation bei Komplikationen.

Fig. 2

Stufe II: Zusatzmedikation bei Komplikationen.

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Antikoagulation

Eine Routinegabe von Plättchenaggregationshemmern, bislang zumeist Acetylsalicylsäure (ASS), wird nicht empfohlen. Ausnahmen stellen andere Indikationen außerhalb der RZA dar (z.B. koronare Herzkrankheit, cerebrovaskuläre Erkrankungen). Bei vaskulär-ischämischen Komplikationen oder hohem Risiko für eine kardiovaskuläre Erkrankung muss selbstverständlich eine individualisierte Entscheidung getroffen werden.

Vaskuläre Eingriffe bei RZA

Elektive endovaskuläre oder rekonstruktive vaskuläre Eingriffe sollten während einer stabilen Remission durchgeführt werden. Ausnahmen stellen arterielle Dissektionen oder kritische vaskulär bedingte Ischämien dar, welche eine notfallmäßige Zuweisung zu einer vaskulären interventionellen Versorgung erfordern.

Verlaufskontrollen

Regelmäßige und geplante Verlaufskontrollen sollten stattfinden. Hierbei ist die Krankheitsaktivtät zu überwachen bezüglich der geschilderten Symptome, klinischen Untersuchung und serologischen Inflammation (gemessen mittels C-reaktivem Protein (CrP)/Blutsenkungsreaktion (BSR)).

Die aktuellen EULAR-Empfehlungen zur Therapie der Großgefäßvaskulitiden stellen eine umfangreiche Überarbeitung der 2009er Empfehlung dar. Basis bleiben Glucocorticoide, bei drohendem Visusverlust nach wie vor in hoher Dosis. Darüber hinaus besteht Konsens, nach rascher und sicherer Diagnostik eine Risikostratifizierung vorzunehmen: Es gilt, einzuteilen in problematische versus mutmaßlich unproblematische Verläufe. Kurz gesagt: Bei Augenbeteiligung, Rezidiv oder zu erwartender Komplikation durch die Glucocorticoidmedikation sollte frühzeitig die Hinzunahme von Tocilizumab erfolgen. Methotrexat kann in diesen Situationen alternativ gewählt werden. Glucocorticoide sollten im Rahmen dieser Kombinationstherapie 6 Monate nach Therapiebeginn ausgeschlichen werden können.

Die Autoren konstatieren, dass zwar aufgrund der Heterogenität der Studien nur wenige evidenzbasierte Aussagen zu treffen sind, die Übereinstimmung der Experten im Hinblick auf die letztlich getroffenen Empfehlungen dennoch sehr hoch war.

Die dringliche Zuweisung an ein spezialisiertes Zentrum wird ausdrücklich empfohlen. Mittlerweile sind rasche Diagnostik und Therapieeinleitung an den meisten rheumatologischen Einrichtungen etabliert und unkompliziert per Telefonzuweisung möglich.

Im klinischen Alltag besteht immer noch die Hauptproblematik im Kennen und Erkennen einer möglichen RZA und der dann notwendigen dringlichen Zuweisung und Therapie. Die hier gezeigten Symptome und Zeichen geben eine gute und zumeist sehr sichere Hilfestellung zur weiteren Diagnosefindung. Sie werden sicher auch falsch positive Ergebnisse liefern, die jedoch in Anbetracht der möglichen Komplikationen durchaus akzeptabel scheinen. Es gilt, die derzeitig noch deutliche Zeitverzögerung zwischen Symptomatik, Diagnosestellung und Therapieeinleitung von durchschnittlich mehreren Monaten in Zukunft minimieren zu können.

Derzeit laufen weitere Studien, zum einen zur Differenzierung der Pathogenese der unterschiedlichen Manifestationen und zum anderen zu innovativen Therapiestrategien bezüglich weiterer spezifischer Zytokinblockaden. Wir dürfen also gespannt sein auf zukünftige möglichst individuell gestaltete Therapien für Patienten mit Großgefäßvaskulitis.

• Bei Verdacht auf RZA (s. Tab. 1) dringliche Zuweisung an ein spezialisiertes Team zur Abklärung und raschen Therapieeinleitung.

• Falls eine Überweisung nicht möglich ist: Einleitung einer Prednisontherapie p.o. (i.v. bei mutmaßlicher Augenbeteiligung mittels Methylprednisolon in o.g. Dosierung).

• ASS nur bei Komorbiditäten oder ischämischen Problemen erwägen.

• Regelmäßige Überwachung von Therapieerfolg und möglichen Krankheits- oder Therapie-assoziierten Problemen.

• Bei mutmaßlichem oder gesichertem problembehafteten Verlauf Hinzunahme von Tocilizumab erwägen. Alternativ kann Methotrexat eingesetzt werden.

• Bei Hinzunahme von Tocilizumab oder Methotrexat: rasche Reduktion des Prednisons.

• Kontaktdaten zu einem spezialisierten Team einholen. Die RZA kommt häufiger vor als man denkt!

In Bezug auf die vorliegende Diskussion der EULAR-Empfehlungen besteht kein Interessenkonflikt.

1.
Mukhtyar C, Guillevin L, Cid MC, et al.: EULAR recommendations for the management of large vessel vasulitis. Ann Rheum Dis 2009;68:3018-3023.
2.
Villiger P, Adler S, Kuchen S, et al.: Tocilizumab for induction and maintenace of remission in giant cell arteritis: a phase 2, randomised double-blind, placebo-controlled trial. The Lancet 2016;387:1921-1927.
3.
Stone JH, Tuckwell K, Dimonaco S, et al.: Trial of tocilizumab in giant cell arteritis. NEJM 2017;377:317-328.
4.
Dejaco C, Ramiro S, Duftner C, et al.: EULAR recommendations for the use of imaging in large vessel vasculitis in clinical practice. Ann Rheum Dis 2018;77:636-643.
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