Seit H.K. Beechers Placeboklassiker «The Powerful Plaeebo» aus dem Jahre 1955 gilt allgemein. dass 35% der Paticnten bei verschiedensten Erkrankungen allein mit Placebos zufriedenstellend therapiert werden könnten. In jüngster Zeit werden oft durchschnitthch 70%. bis maximal 100% genannt. Ähnlich wie pharmakologischen Präparaten werden Placebos Zeit-Wirkungs-Kurven. Kumulations- und Carry-over-Effekte. eine differcnzierte Wirkung je nach Farbe. Grösse und Verpackung sowie toxische Effekte zugesprochen. Vermutet wird, dass Placebos lebensverlängernd wirken, dass Placeboeffekte auch in der Chirurgie auftreten und dass sie durch Endorphine vermittelt werden. Der vorliegende Artikel analysiert Quellenmaterial, das die wissenschaftlichc Basis fur diese und weitere Angaben bildet. Bei der Analyse zeigt sich, wie bereits in einer vorausgegangenen Arbeit (G. S. Kienle. Der sogenannte Placeboeffekt, Stuttgart 1995), dass die zugrunde gelegten Studien, ausser viellcicht beím Asthma bronchiale. nicht im geringsten die Schlussfolgerungen rechtfertigen, die aus ihnen gezogen werden. Vielmehr wird der Placeboeffekt vorgetäuscht durch verschiedene Faktoren wie Spontanverlauf der Erkrankung, Regression to the mean, begleitende Thcrapiemassnahmen, Gefälligkeitsauskünfte, experimentelle Unterordnung, gravierende methodologische Mangel der Studien, falsches Zitieren usw,; bisweilen auch dadurch, dass das angebliche Placebo nicht wirklich ein Placebo ist, sondern dass ihm eine spezifische Wirkung für die betreffendc Indikation eingeräumt werden muss. Ein weiterer Grund für Fehleinschätzungen ist eine begriffliche Unklarheit des Placebokonzepts. Mangelnde Differenzierung gibt es insbesondere auch gegenüber der experimentellen Unterordnung und in Fragen der Konditionierung. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die verbreiteten Literaturangaben zu Grösse und Häufigkeit des Placeboeffekts unbegründet und in hohem Masse übertrieben, wenn nicht gänzlich falsch sind. Die Autoren stellen zuletzt die Frage. ob nicht die Existenz des sogenannten Placeboeffekts grösstenteils. oder gar insgesamt, eine Illusion ist.

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