Zusammenfassung
Hintergrund: Bis zu 40% aller Herzpatienten können den funktionellen Herz-Kreislauf-Beschwerden (FHKB) zugeordnet werden. Dieses Krankheitsbild ist häufig mit Schlafstörungen und Blutdruckauffälligkeiten vergesellschaftet. Somit war es von Interesse, diesen Zusammenhang im Rahmen einer nichtinterventionellen Studie mit Cardiodoron® – ein Arzneimittel, das Störungen der vegetativen Rhythmik entgegenwirkt – näher zu beleuchten. Patienten und Methoden: 92 Ärzte dokumentierten insgesamt 501 Patienten mit FHKB und/oder Schlafstörungen, die 3 bis 6 Monate Cardiodoron® (Dilution) erhielten. Die Subgruppe der 454 Patienten mit FHKB bzw. 269 Patienten mit vollständigen Werten wurde hinsichtlich kardiologisch relevanter Parameter genauer betrachtet und steht im Mittelpunkt dieser Publikation. Ergebnisse: Die ärztlicherseits bewertete Ausprägung der FHKB reduzierte sich um 68% von 1,9 auf 0,6 Punkte. Der Symptomsummenscore aus 30 Einzelsymptomen ging um 61% von 23,6 auf 9,1 Punkte zurück. Blutdruckauffälligkeiten waren mit 1,6 zu 0,7 Punkten rückläufig. Weiterhin beurteilten die Patienten ihr Befinden mittels der Beschwerden-Liste nach von Zerssen, deren Gesamtwert sich um 58% von 24,0 auf 10,2 Punkte verminderte. Schlussfolgerung: Cardiodoron® ist ein gut verträgliches Arzneimittel der anthroposophischen Therapierichtung mit positivem Effekt bei Patienten mit FHKB, insbesondere bei Blutdruckauffälligkeiten.
Abstract
Background: Functional cardiovascular disorders (FCDs) can be attributed to up to 40% of all heart patients. This disease picture is often associated with sleep disorders and blood pressure abnormalities. Therefore, it was of interest to investigate this relationship in a noninterventional study with Cardiodoron®, which counteracts autonomic rhythms. Patients and Methods: 92 physicians documented 501 patients suffering from functional cardiovascular and/or sleep disorders who have been treated with Cardiodoron® for 3–6 months. The subgroup of 454 patients with FCD or 269 patients with complete values was examined in more detail with regard to cardiologically relevant parameters and is the focus of this publication. Results: The severity of FCDs assessed by the physicians was reduced by 68% from 1.9 to 0.6 points. The total symptom score of 30 individual symptoms decreased by 61% from 23.6 to 9.1 points. Blood pressure abnormalities decreased from 1.6 to 0.7 points. Furthermore, the patients assessed their condition by means of the list of complaints according to von Zerssen, whose total value was reduced by 58% from 24.0 to 10.2 points. Conclusion: Cardiodoron® is a well-tolerated drug of anthroposophic therapy with a positive effect on patients with functional cardiovascular complaints, especially those with blood pressure problems.
Keywords Study, Cardiodoron®, Functional cardiovascular disorders, Sleep disorders, Blood pressure abnormalities, Hypertension
Einleitung
Cardiodoron® enthält Primula veris (Schlüsselblume), Onopordum acanthium (Eselsdistel) und Hyoscyamus niger (Bilsenkraut). Bei der Herstellung erfolgt ein Kaltauszug aus dem frischen Kraut von H. niger. Zudem werden die frischen Blüten von P. veris zerkleinert, in destilliertem Wasser/Ethanol aufgenommen und mit der Hyoscyamus Urtinktur “tingiert” (1%). Für die Digestio wird der Ansatz für eine Stunde auf 37°C erwärmt und nach einigen Tagen der Mazeration die flüssige Phase von den festen Pflanzenbestandteilen abgetrennt. Für O. acanthium erfolgt dies analog. Beide Digestiones werden am Ende gemischt und auf Anwendungsstärke verdünnt.
Die alkoholische Dilution ist im Detail wie folgt zusammengesetzt: 10 g (= 10,3 mL) enth.: Ethanol. Digestio (1:3,1) aus O. acanthium, Flos rec., hergestellt mit 1% H. niger, Herba rec. Ø (HAB, V. 2a) 1,0 g/ethanol. Digestio (1:3,1) aus P. veris, Flos rec., hergestellt mit 1% H. niger, Herba rec. Ø (HAB, V. 2a) 1,0 g. Sonstige Bestandteile: Ethanol 96%, gereinigtes Wasser.
Die Anwendungsgebiete lauten: “Störungen vegetativer Rhythmen und ihrer Koordination, vor allem Herzrhythmusstörungen; Schlafstörungen; Dyskardien und orthostatische Dysregulationen sowie funktionelle Herz- und Kreislaufstörungen bei und nach Infektionskrankheiten” [1].
Die Wirkweise des Präparates kann derzeit nur bedingt einzelnen Inhaltsstoffen zugeordnet werden. Bei P. veris gelten die Saponine als wesentlich, für die bekannt ist, dass sie nicht resorbiert werden, sondern eine reaktive Antwort im Atemtrakt hervorrufen: eine Schleimlösung und Reinigung der Schleimhäute und somit eine Unterstützung des Atmungssystems [2]. Für O. acanthium ergaben neue Untersuchungen [3] einen Nachweis ACE-hemmender Inhaltsstoffe im Samen, so dass über diesen Mechanismus der Gefäßtonus gesenkt werden könnte. H. niger enthält die Alkaloide Hyoscyamin und Scopolamin, die in geringen Mengen antitachykarde Eigenschaften aufweisen [4]. Durch eine transdermale Gabe von Scopolamin konnte eine vagomimetrische, blutdrucksenkende und herzfrequenzverlangsamende Wirkung beim Menschen gezeigt werden [5, 6]. Scopolamin wird auch zur Relaxation der glatten Muskulatur eingesetzt [4], die über eine anticholinerge und Ca2+-antagonistische Wirkung erreicht wird [7]. Cardiodoron® könnte auf diesem Weg somit die Herzkreislaufregulation im Sinne einer Beruhigung und verbesserten Reagibilität beeinflussen.
Für Cardiodoron® existieren neben zahlreichen Einzelfallberichten aus der ärztlichen Praxis [8-16]einige Studien an Patienten [17-22] und gesunden Probanden [23, 24]. Beispielsweise wurde eine klinische Prüfung bei 57 Patientinnen mit hypotonen Kreislaufstörungen durchgeführt, die über 8 Wochen mit 3 × 20 Tropfen Cardiodoron® oder einem Placebo behandelt wurden. Besonders kreislaufbedingte Symptome konnten dort im Vergleich zum Placebo deutlich reduziert werden [21, 22]. Sowohl die kurz- als auch die langfristige Wirkung von Cardiodoron® als Tropfen und Injektion wurde weiterhin mehrfach bei orthostatisch labilen Patienten in klinischen Versuchsanordnungen näher betrachtet (vs. unbehandelte Kontrollgruppe bzw. vs. Placebo und Vergleichspräparat). Vor allem der Quotient aus Puls-Atem-Frequenz (QPA) stand im Mittelpunkt dieser Untersuchungen. Während des Schlafs gilt ein Wert von 4 als Norm, d.h. 4 Herzschläge pro Atemzug. Auch im wachen Zustand wird in Ruhe dieser Wert angestrebt. Alle Studienergebnisse haben gemeinsam, dass die Patienten zu Behandlungsbeginn im Mittel einen QPA außerhalb dieser Norm aufwiesen und sich während der Cardiodoron®-Behandlung eine Verbesserung der QPA einstellte [17-20, 24]. Untersuchungen zu Cardiodoron® erfolgten zudem an Gesunden. Diese wiesen bereits bei Studienbeginn im Mittel keinen von der Norm abweichenden QPA auf. Eine Anwendung von Cardiodoron® über 4 Wochen erreichte allerdings eine Verringerung der Streubreite des QPA. Placebo hatte keinen Einfluss [23, 25, 26].
Aufgrund der Häufigkeit von funktionellen Herz-Kreislauf-Beschwerden (FHKB) und Schlafstörungen sollte darüber hinaus im Rahmen einer nichtinterventionellen Studie neben weiteren Daten zur Verträglichkeit ermittelt werden, wie sich diese Beschwerden durch die Behandlung mit Cardiodoron® verändern. Die Ergebnisse beider Beschwerdebilder wurde bereits in einem Übersichtsartikel publiziert [27], gefolgt von der Darstellung der Resultate der Patienten mit Schlafstörungen [28]. Die folgende Arbeit ist eine Sekundäranalyse der Ergebnisse der Patienten mit FHKB, insbesondere der Wirkung des Präparates auf relevante kardiologische Symptome, wie Blutdruckauffälligkeiten, Palpitationen, Tachykardien und Herzrhythmusstörungen.
Patienten und Methoden
Design und Zentren
Zur systematischen Sammlung von weiterführenden Erkenntnissen hinsichtlich der Wirkung und Verträglichkeit von Cardiodoron® sollte eine prospektive, nichtkontrollierte, nichtinterventionelle, multizentrische Beobachtungsstudie in Deutschland bei ca. 100 Ärzten durchgeführt werden. Gemäß den gesetzlichen Vorgaben (§ 67, Abs. 6 Arzneimittelgesetz) erfolgte die Anzeige bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen sowie der zuständigen Bundesoberbehörde. Weiterhin wurde die Studie der Ethik-Kommission bei der Landesärztekammer Baden-Württemberg vorgelegt, die keine Einwände gegen die Durchführung hatte.
Für einen vollständig ausgefüllten Beobachtungsbogen inklusive der Einholung der vom Patienten auszufüllenden Bögen erfolgte eine Honorarzahlung von 100,00 Euro. Die Dokumentation des Follow-ups wurde mit 50,00 Euro honoriert.
Patienten
Geplant war, 500 auswertbare Patienten mit FHKB und/oder Schlafstörungen zu dokumentieren, die mit Cardiodoron® (Dilution) behandelt wurden. Diese Patienten sollten innerhalb der letzten 12 Monate kein Cardiodoron® erhalten haben sowie nach der Aufnahmeuntersuchung direkt mit der Einnahme beginnen und möglichst zeitgleich keine weitere medikamentöse Therapie gegen ihre Beschwerden einleiten. Aufgrund der Gegenanzeigen (Stand Fachinformation Juli 2008) durften Patienten mit einer bekannten Überempfindlichkeit gegen Primeln nicht eingeschlossen werden. Gleiches galt mangels Erfahrung für eine bestehende Schwangerschaft. Als Voraussetzung für die Dokumentation musste zudem eine mündliche und schriftliche Aufklärung der Patienten erfolgen sowie deren schriftliche Zustimmung vorliegen. Entsprechend diesen Vorgaben waren die Ein- und Ausschlusskriterien definiert.
Untersuchungszeitpunkte und Dokumentation
Nach einer Aufnahmeuntersuchung nahmen die Patienten über 90 (±10) Tage Cardiodoron® (Dilution) ein und erschienen dann zu einer Abschlussuntersuchung. Sofern das Präparat weiter verordnet wurde, konnte nach nochmals 90 (±10) Tagen ein Follow-up dokumentiert werden.
Die Aufnahmeuntersuchung beinhaltete ärztlicherseits die Erfassung der demografischen Daten, den Beginn und die Ausprägung der FHKB bzw. der Schlafstörungen sowie die Bewertung von 30 krankheitstypischen Symptomen1 wie z.B. Tachykardien, Palpitationen, Herzrhythmusstörungen, Blutdruckauffälligkeiten, vagovasale Synkopen nach folgendem System: 0 Punkte = nicht vorhanden, 1 Punkt = leicht, 2 Punkte = mittel und 3 Punkte = schwer ausgeprägt. Bei der Abschlussuntersuchung und dem Follow-up wurden die Ausprägung der FHKB/Schlafstörungen sowie deren Symptome analog zur Aufnahmeuntersuchung dokumentiert.
Bei jeder Untersuchung bewerteten die Patienten ihre Beschwerden mittels Beschwerden-Liste B-L + B-L′ nach von Zerssen [29] mit “stark” = 3 Punkte, “mäßig” = 2 Punkte, “kaum” = 1 Punkt, “gar nicht” = 0 Punkte. Für den Gesamtwert beider Listen, berechnet als (B-L + B-L′)/2, gelten folgende Werte für das Gesamtkollektiv als kritisch: 22–27 = fraglich abnorm, ≥28 = sicher abnorm [29].
Die Cardiodoron®-Dosierung, die Dauer bis zum erstmaligen Wirkungseintritt, eventuelle unerwünschte Arzneimittelwirkungen und die Patientencompliance (nach Aussage des Patienten) sowie die Beurteilung der Wirksamkeit und Verträglichkeit durch Arzt bzw. Patient wurden ebenfalls erhoben.
Weiterhin erfolgte für einen späteren Vergleich eine Bewertung früher eingenommener Medikamente gegen FHKB/Schlafstörungen. Begleiterkrankungen und -therapien (auch nichtmedikamentöser Art wie Kuraufenthalte) erfasste der behandelnde Arzt fortlaufend während der ersten 3-monatigen Behandlungsdauer.
Qualitätssicherungsmaßnahmen
Zur Erhöhung der Datenqualität wurde bei 3 Ärzten ein Monitoring mit “Source-Data Verification” durchgeführt (d.h. detaillierte Überprüfung von insgesamt 12 Patientendokumentationen). Die Auswahl der Ärzte erfolgte durch das Zufallsprinzip.
Statistik
Die Details zur deskriptiven Auswertung wurden vor Beginn der Datenanalyse mittels eines statistischen Analyseplans bzw. der Erstellung von Templates festgelegt. Analog erfolgte die Festlegung des auswertbaren Patientenkollektivs. Die Auswertung der erhobenen Parameter war deskriptiv bzw. explorativ geplant. Die Darstellung kontinuierlicher Merkmale erfolgte mit Anzahl der Beobachtungen, Mittelwert, Standardabweichung, Minimum, Median und Maximum. Kategorielle Merkmale wurden mit absoluten und relativen Häufigkeiten innerhalb der einzelnen Kategorien abgebildet. Subgruppenanalysen waren in Abhängigkeit von der Datenlage vorgesehen und ergaben sich aus demographischen, anamnestischen sowie klinischen bzw. untersuchungsspezifischen Kriterien oder deren Kombinationen.
Fehlende Werte wurden nicht ersetzt. Bei einem Vergleich erfolgte sowohl die Berechnung der Absolutzahlen aller vorhandenen Werte als auch die Ermittlung der Werte der Patienten mit vollständigen Angaben für den einzelnen Parameter an den drei Untersuchungszeitpunkten. Sofern die Berechnung von p-Werten für Unterschiede zwischen Subgruppen sinnvoll erschien, wurden diese mittels t-Test, Mann-Whitney U-Test und Wilcoxon-Test ohne Bezug auf Hypothesen aufgeführt. Generell fand keine Fehleradjustierung bezüglich des multiplen Testens statt. Verwendete Software für die Auswertung waren SPSS Version 19 sowie R-2.11.1 und Statistica 13.
Ergebnisse
Patientenkollektiv und Diagnose(n)
Insgesamt wurden in 92 ärztlichen Praxen Deutschlands 501 hinsichtlich der Ausnahme- und Abschlussuntersuchung auswertbare Patienten aufgenommen. Bei 285 Patienten lag eine Follow-up-Dokumentation vor. Von den 501 Patienten litten 119 Patienten unter FHKB, 45 unter Schlafstörungen und 335 unter beiden Beschwerdebildern. Die Anzahl der Patienten mit FHKB mit Aufnahme- und Abschluss-Werten betrug 454. Davon hatten zwischen 254 und 269 Patienten hinsichtlich der wesentlichen Zielparameter bis zum Follow-up auswertbare Daten. Der Abbildung 1 können die Gründe für den Ausschluss von Patienten entnommen werden.
Im Mittel bestanden die FHKB seit 34 Monaten. Weitere Begleiterkrankungen hatte rund die Hälfte der Patienten (n = 233, 51%). Hypertonie (inklusive essentielle Hypertonie) wurde am häufigsten genannt (74 der 454 bzw. 47 der 269 Patienten). Das Alter lag im Mittel bei 53 Jahren. 75% der Patienten waren weiblich bzw. 25% männlich.
Therapie(n)
Gemäß zugelassener Dosierung wurde 1- bis 3-mal täglich folgende Einnahme empfohlen: Erwachsene und Jugendliche ab 12 Jahren: 15–20 Tropfen; Schulkinder von 6 bis 11 Jahren: 8–10 Tropfen; Kleinkinder bis zu 5 Jahren: 3–8 Tropfen.
Die empfohlene Cardiodoron®-Tagesdosis von 15 bis 60 Tropfen für Erwachsene und Jugendliche erhielten 429 der 454 Patienten. Eine “sehr gute/gute” Compliance lag bei 92% der FHKB-Patienten zugrunde.
Über die Hälfte der Patienten (n = 233) erhielt Begleittherapien unterschiedlichster Art, die zum großen Teil bereits vor Studienbeginn angewendet wurden. Darunter waren auch Antihypertonika: β-Blocker (65 Nennungen), ACE-Hemmer (55 Nennungen), Kalzium-Antagonisten (24 Nennungen), AT1-Rezeptor-Antagonisten (22 Nennungen), Diuretika (32 Nennungen). In nur 5 Fällen bzw. bei 4 Patienten erfolgte der Beginn der Gabe eines solchen Präparates innerhalb der Studie. Es handelt sich bei je 2 Patienten um die Gabe von β-Blockern bzw. Kalzium-Antagonisten. Ein Patient erhielt zudem einen AT1-Rezeptor-Antagonisten. Entweder erfolgte der Beginn der Einnahme parallel zu Cardiodoron® oder innerhalb eines Monats danach.
Weiterhin gaben rund 19,2% der Patienten mit FKHB an, bereits früher Medikamente gegen die Beschwerden eingenommen zu haben, wobei nähere Angaben zu 107 Präparaten aus sehr unterschiedlichen Präparatgruppen gemacht wurden. Die Wirkung dieser Vormedikation bewerteten die Patienten wie folgt: 10% “sehr gut”, 25% “gut”, 37% “befriedigend” und 25% “unbefriedigend”. Auch für die Verträglichkeit wurden Bewertungen abgegeben: 43% “sehr gut”, 29% “gut”, 15% “befriedigend” und 9% “unbefriedigend”. Ärztlicherseits lag die Bewertung der Vormedikation in ähnlichen Bereichen.
Wirkung und Verträglichkeit
Bei “sehr guter” bzw. “guter” Verträglichkeit (Bewertung zu 98%, n = 445) stellten 419 der 454 (92%) Patienten mit FHKB eine Wirkung von Cardiodoron® fest. 212 Patienten machten darüber hinaus zudem Angaben zum ersten Eintritt, der bei 12 Tagen (±8 Tage) lag. Nach 3-monatiger Behandlung bewerteten 451 Patienten die Wirkung nochmals genauer: 213 (47%) vergaben “sehr gut”, 178 (39%) “gut”, 36 (8%) “befriedigend” und 24 (5%) “unbefriedigend”.
Die Abbildung 2 zeigt die Ergebnisse der wesentlichen Zielparameter. Die Ausprägung der FHKB reduzierte sich signifikant im Behandlungsverlauf von 1,9 Punkten auf 0,9 bei Abschluss und 0,6 bei Follow-up (jeweils p < 0,01). Der Wert der Beschwerden-Liste nach von Zerssen, berechnet als (B-L + B-L′)/2, lag zu Behandlungsbeginn mit 24,0 Punkten im kritischen Bereich, der als “fraglich abnorm” definiert wird. Bei Abschluss bzw. zum Follow-up konnten 13,2 bzw. 10,2 Punkte ermittelt und somit der Normalbereich erreicht werden (jeweils p < 0,01). Auch der Schweregrad aller 30 erfassten Symptome verminderte sich durchgehend zwischen Aufnahme- und Abschlussuntersuchung bzw. Follow-up, so dass der daraus gebildete Symptomsummenscore mit einem p-Wert von <0,01 wie folgt rückgängig war: 23,6 vs. 11,6 vs. 9,1 Punkte.
Weiterhin wurden aus den 30 Symptomen diejenigen mit Herz-Kreislauf-Relevanz ausgewählt und zu Symptomkategorien zusammengefasst. In die Symptomkategorie Kreislaufbeschwerden gingen die Symptome Schwindel und vagovasale Synkopen ein. Den Herzbeschwerden wurden Palpitationen, Tachykardien, Herzrhythmusstörungen, Herz-/thorakale Schmerzen und Engegefühl in der Brust zugeordnet. Unter Atembeschwerden erfolgte eine Zusammenfassung von Atem-/Luftnot, Hyperventilation, flache Atmung und Kurzatmigkeit. Die Abbildung 3 zeigt einen Rückgang dieser Symptomkategorien von über 70%. Palpitationen, Tachykardien und Herzrhythmusstörungen wurden zudem bezüglich Responder/Non-Responder nochmals genauer analysiert (Abb 4). Dabei zeigte sich, dass 75 bis 81% der Patienten bezüglich dieser drei kardiologisch relevanten Symptome auf eine 3-monatige Cardiodoron®-Einnahme ansprachen. Sofern das Präparat weitere 3 Monate eingenommen wurde, stieg der Anteil der Responder auf 83 bis 86%.
Die Symptomkategorie Blutdruckauffälligkeiten, d.h. die summierte Ausprägung der Hyper- und Hypotonie, verbesserte sich um 56% (Abb 3). Da die Hypertonie von besonderer Relevanz ist und neben der Bewertung der Ausprägung auch die direkt gemessenen Blutdruckwerte vorlagen, erfolgte eine Einteilung dieser Werte in die Bereiche Normotonie (systolisch <140 mm Hg, diastolisch <90 mm Hg), Borderline (systolisch ≥140 bis ≤149 mm Hg, diastolisch ≥90 bis ≤94 mm Hg) und Hypertonie (systolisch >149 mm Hg, diastolisch >94 mm Hg). Die Abbildung 5 bzw. Tabelle 1 zeigen bei den Patienten mit FHKB und vollständigen Werten an den drei Untersuchungszeitpunkten (n = 269) durchgehend für den systolischen und den diastolischen Blutdruckwert einen Anstieg des Anteils der Patienten mit Normotonie bzw. einen Rückgang der Patienten mit Hypertonie bzw. Borderline. Bezüglich des systolischen Blutdruckwertes lagen 39 der 269 Patienten (14,5%) zu Behandlungsbeginn im Bereich der Hypertonie; 52 Patienten (19,3%) konnten der Borderline-Gruppe zugeordnet werden. Die Patientenzahl reduzierte sich nach einer 3-monatigen Cardiodoron®-Einnahme auf 10 Patienten mit hypertonen und auf 34 Patienten mit Borderline-Blutdruckwerten.
Dieser Rückgang zeigt sich ebenfalls in dem durch den Arzt bewerteten Symptom “Hypertonie”, dem nicht nur eine einzelne Messung eines Blutdruckwertes zugrunde liegt: Bei Aufnahme wurden für 6 bzw. 47 der 269 Patienten eine schwere bzw. mittelschwere Form der Hypertonie angegeben; bei Abschluss waren es 1 bzw. 14 Patienten.
Da Cardiodoron® auf den Blutdruck ausgleichend wirken soll, erfolgte auch eine Betrachtung der Hypotonie, definiert mit einem systolischen Blutdruck unter 110 mm Hg. Einen systolischen Blutdruckwert unter 110 mm Hg wiesen zu Behandlungsbeginn 41 der 269 Patienten auf; davon lagen 4 Patienten unter 90 mm Hg. Nach 3-monatiger Einnahme waren es 21 Patienten mit einem Blutdruck unter 110 mm Hg und 1 Patient mit einem Blutdruck unter 90 mm Hg. Im Rahmen der übergreifenden Symptombewertung durch den Arzt wurde bei 4 der 269 Patienten eine “schwere” Form und bei 24 Patienten eine “mittelschwere” Form der Hypotonie angegeben. Bei der Abschlussuntersuchung waren es 1 bzw. 10 Patienten.
Diskussion
Die Anzahl der Patienten, die unter FHKB leiden, ist in den Praxen niedergelassener Ärzte hoch. Bei bis zu 40% aller Herzpatienten finden sich primär keine organpathologischen Befunde. Charakteristische Symptome, wie Herzrhythmusstörungen, Tachykardien, Palpitationen und vor allem Hypertonie, führen über kurz oder lang zu ernstzunehmenden Folgeschäden mit organischer Manifestation [30]. Die in diesem Beitrag vorgestellten Studiendaten von 454 Patienten mit FHKB bzw. von 269 Patienten mit vollständigen Werten erbrachten hinsichtlich der Wirkung von Cardiodoron® nach einer 3- bzw. 6-monatigen Einnahme sehr homogene positive Ergebnisse: Die Ausprägung der FHKB reduzierte sich um 68%; der Symptomsummenscore aus 30 Einzelsymptomen ging um 61% zurück; der Gesamtwert der Beschwerden-Liste nach von Zerssen verminderte sich von 24,0 (definiert als “fraglich abnorm”) auf 10,2 Punkte (Normalbereich) und somit im Mittel um 58% in ähnlicher Größenordnung wie in einer klinischen Prüfung bei Patientinnen mit hypotonen Kreislaufstörungen [21, 22]. Die p-Werte der genannten Zielparameter lagen durchgehend bei <0,01, so dass die Verbesserungen als signifikant einzustufen sind.
Aus stofflicher Sicht betrachtet, wäre eine Wirkung von Cardiodoron® bei Hypertonie aufgrund der Alkaloide Hyoscyamin bzw. Scopolamin [4-6] denkbar, wobei allerdings deren Absolutgehalt gering ist. Bezüglich des Gehalts ACE-hemmender Subtanzen durch die Esels-distel [3] kann keine Aussage gemacht werden, da derzeit Untersuchungen dazu fehlen. Ebenfalls ist auf stofflicher Ebene nicht erklärbar, dass auch die Hypotonie positiv beeinflusst zu sein scheint, wie auch von Frühwirth et al. [21] bzw. Mayrhoffer et al. [22] festgestellt wurde. Die Symptomkategorie “Blutdruckauffälligkeiten”, in die Hyper- und Hypotonie eingingen, wurde bei Aufnahme mit 1,6 Punkten als mittelschwer und nach einer 6-monatigen Cardiodoron®-Behandlung mit 0,7 Punkten als leicht eingestuft. Weiterhin untermauern die direkt gemessenen Blutdruckwerte diesen positiven Trend sowohl bei Hyper- als auch bei Hypotonie. Beispielsweise verblieben von den 39 Patienten, bei denen der systolische Blutdruckwert zu Beginn als hyperton einzuordnen war, nach 3 Monaten nur noch 10 Patienten. Auch der Anteil der Hypotoniker mit einem systolischen Blutdruckwert von unter 110 mm Hg sank von 41 auf 21 Patienten. Es ist anzunehmen, dass die Auswirkungen eines zu niedrigen Blutdrucks unterschätzt werden. In einer kürzlich publizierten koreanischen Gesundheits- und Ernährungsstudie wurde beispielsweise festgestellt, dass die Ausprägung einer Hypotonie mit der Häufigkeit von Suizidgedanken in Zusammenhang steht [31]. Eine Assoziation zwischen niedrigem Blutdruck und depressiven Symptomen konnte in zwei weiteren Studien gezeigt werden [32, 33]. Da die Einzelmessungen des Blutdrucks im Rahmen der hier vorgestellten Studie an den drei Untersuchungszeitpunkten jedoch nur bedingt aussagefähig sind, müssten sowohl im Hinblick auf die Hyper- als auch auf die Hypotonie noch weitere klinische Untersuchungen, z.B. mit einer 24-Stunden-Blutdruck-Messung, folgen.
Darüber hinaus darf nicht außer Acht gelassen werden, dass bei einzelnen Blutdruckmessungen die Regression zur Mitte (Regression to the Mean [RTTM]) einen Einfluss haben kann. Werden beispielsweise Patienten mit einem besonders hohen Blutdruck ausgewählt und der Mittelwert berechnet, so ist es möglich, dass später ein Wert ermittelt wird, der näher am Normalwert liegt, unabhängig davon, ob eine Behandlung erfolgt ist. Grund ist u.a. der an sich stark schwankende Blutdruck eines Patienten im Zeitverlauf. Die Einschätzung, wie stark die RTTM einen Einfluss hat, kann nur durch eine Vergleichsgruppe erfolgen. Gegebenenfalls für einen kleinen Einfluss könnte sprechen, dass der Arzt den Schweregrad der Blutdruckauffälligkeiten beurteilte. Dabei ist davon auszugehen, dass der Arzt die Gesamtsituation des Patienten hinsichtlich des Blutdruckes eingeschätzt hat und Einzelwerte dabei keine Rolle spielen. Die Reduzierung von mittelschweren (1,6 Punkte) auf leichte Blutdruckauffälligkeiten (0,7 Punkte) sind sicherlich kaum von der RTTM betroffen. Nichtsdestotrotz sind dahingehend weitere systematische Untersuchungen im Rahmen einer klinischen Prüfung wünschenswert.
Insgesamt sprachen bei (sehr) guter Verträglichkeit 92% der Patienten mit FHKB auf die Therapie mit Cardio-doron® an und erklärten, im Mittel nach knapp 2 Wochen einen ersten Eintritt einer Wirkung festzustellen. Auch Berichte aus der Praxis bestätigen, dass dieses Präparat innerhalb weniger Wochen zu einer Beschwerdenverbesserung führt [8, 9, 12, 16]. Dieses Ergebnis ist bedeutsam, da in der Regel mit herkömmlichen Maßnahmen bei 50% der Patienten mit FHKB keine Verbesserung der Symptomatik zu erreichen ist [30].
Die Patienten litten im Mittel bereits seit ca. 3 Jahren unter FHKB. Der Zeitraum, bis eine funktionelle oder somatoforme Störung nach ihrem erstmaligen Auftreten überhaupt erkannt und eine spezifische Behandlung eingeleitet wird, beträgt durchschnittlich 3 bis 5 Jahre [34]. Generell wird bei einer funktionellen Erkrankung ab einer Beschwerdedauer von über 6 Monaten von einer Chronifizierung gesprochen [34]. Somit kann angenommen werden, dass der tatsächliche Beginn der FHKB bei den Patienten dieser Studie nochmals entsprechend weiter zurückliegt und bereits chronische Züge angenommen hatte. Weiterhin bewerteten die Patienten Präparate, die in der Vergangenheit gegen die Beschwerden eingenommen wurden – die sogenannte Vormedikation – verhalten. Daher ist wahrscheinlich, dass die Patienten einer erneuten medikamentösen Therapie kritisch gegenüberstanden und dies das Studienergebnis eher negativ beeinflussen hat; vor allem wenn der Effekt nicht sofort spürbar eintritt, wie das bei dieser Studienmedikation der Fall ist. Beide Punkte sprechen für die Wirkung von Cardiodoron® und gegen eine mögliche individuelle Spontanbesserung der Beschwerden. Die Verbesserung der Gesamtsymptomatik spiegelt sich auch in der übergreifenden Beurteilung der Wirkung wider, die zu 86% bei “sehr gut/gut” lag. Eine nahezu identische Beurteilung der Wirkung (89% “sehr gut/gut”) ermittelte bereits vor über 20 Jahren Weckenmann [18] in einer Ärzteumfrage.
Um sicherzugehen, dass keine anderen Maßnahmen zu einer Verbesserung des Krankheitsbildes führten, wurden die Begleittherapien näher betrachtet: Bei 233 der 454 Patienten mit FHKB wurden weitere Behandlungsmaßnahmen ergriffen. Vor allem waren es unterschiedliche Herzkreislaufmittel, die die Patienten allerdings bis auf 4 Ausnahmen bereits vor der Gabe von Cardiodoron® anwendeten. Somit ist davon auszugehen, dass der positive Effekt auf das Befinden tatsächlich Cardiodoron® zugeschrieben werden kann, wobei auch hier eine abschließende Beurteilung ohne Vergleichsgruppe nicht möglich ist.
In der anthroposophischen Medizin ist Cardiodoron® ein bekanntes und bewährtes Arzneimittel. Es wäre wünschenswert, dass dieses Arzneimittel als mögliche Therapieoption bei FHKB auch in der konventionellen Medizin einen höheren Bekanntheitsgrad erlangen würde. Da vor allem die Hypertonie in den Industrienationen altersabhängig bei 10 bis 50% der Bevölkerung auftritt [35] und zu schwerwiegenden gesundheitlichen Folgeerkrankungen, wie beispielsweise Schlaganfall und Nierenschäden führt, könnte das Präparat bereits jetzt aufgrund des aktuellen Erkenntnisstandes und der minimalen Nebenwirkungen eine empfehlenswerte Begleittherapie darstellen. Allerdings muss die Bereitschaft vorliegen, einen gewissen Zeitraum bis zum Eintritt einer spürbaren Verbesserung der Beschwerden in Kauf zu nehmen.
Statement of Ethics
Die Studie wurde der Ethik-Kommission bei der Landesärztekammer Baden-Württemberg vorgelegt, die keine Einwände gegen die Durchführung hatte. Als Voraussetzung für die Dokumentation musste eine mündliche und schriftliche Aufklärung der Patienten erfolgen sowie deren schriftliche Zustimmung vorliegen.
Conflict of Interest Statement
Die Autoren haben keine Interessenkonflikte zu erklären.
Funding Sources
Die Studie wurde durch die Firma Weleda AG, Schwäbisch Gmünd finanziert.
Author Contributions
Dr. Claudia Rother plante und organisierte die Studie in Zusammenarbeit mit einem durch sie beauftragten Auftragsforschungsinstitut. Die statistische Auswertung erfolgte unter ihrer Leitung und wurde ebenfalls durch das Auftragsforschungsinstitut vorgenommen. Cristina Semaca führte die Sekundäranalyse durch.
References
30 Einzelsymptome bewertet mit 0 Punkte = nicht vorhanden, 1 Punkt = leicht, 2 Punkte = mittel und 3 Punkte = schwer ausgeprägt: Angst/Panik, Antriebsschwäche, Appetitlosigkeit, Atem- bzw. Luftnot, depressive Symptome, Engegefühl in der Brust, flache Atmung, Gewichtsabnahme, Herzklopfen (Palpitationen), Herzrasen (Tachykardie), Herzrhythmusstörungen, Herzschmerzen/thorakale Schmerzen, Hypertonie, Hyperventilation, Hypotonie, klimakterische Beschwerden, Kopfschmerzen, Kurzatmigkeit, Leber-Galle-Beschwerden, Magen-Darm-Beschwerden, Müdigkeit (tags-über, chronisch), Nervosität, Ohrgeräusche/Tinnitus, Reizbarkeit, Rückenschmerzen, Ruhelosigkeit, Schweißausbrüche, Schwindel, Stimmungs-schwankungen, vagovasale Synkopen.