Die aktualisierte Version der Leitlinie «Diagnostik und Therapie der Colitis ulcerosa» wurde im Mai 2018 unter der Federführung der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) veröffentlicht [1]. Sie wird bis zum 15. Mai 2022 gültig sein. Bereits die Vorgängerversion machte die Relevanz naturheilkundlicher und komplementärmedizinischer Verfahren bei der Behandlung von Patienten mit Colitis ulcerosa deutlich. Die Leitlinie enthielt für eine Reihe komplementärmedizinischer Therapieverfahren evidenzbasierte Empfehlungen [2], etwa für die Phytotherapeutika Plantago ovata und Curcumin, für Akupunktur in Kombination mit Moxibustion oder für eine multimodale komplementäre Mind-Body-Therapie zur Verbesserung der Lebensqualität. Weitere komplementärmedizinische Verfahren konnten damals aufgrund einer unzureichenden Datenlage nicht empfohlen werden. In der nun erfolgten Leitlinienaktualisierung hat der Stellenwert komplementärmedizinischer Behandlungsverfahren weiter zugenommen. Neue hochwertige kontrolliert-randomisierte Studien ermöglichten die Ergänzung der bereits vorhandenen Empfehlungen um weitere komplementärmedizinische Therapieverfahren [3,4,5]: Yoga (Empfehlung 6.2.6) und ein pflanzliches Kombinationspräparat aus Myrrhe, Kamillenblütenextrakt und Kaffeekohle (Empfehlung 6.2.10) - für das es in Deutschland ein zugelassenes traditionelles Arzneimittel gibt - können nun leitlinienkonform komplementär in der Behandlung eingesetzt werden. Innerhalb des Unterkapitels «Mind-Body Verfahren» wird weiterhin auch die Lebensstilmodifikation thematisiert - ein besonders vielversprechender Therapieansatz, da er eine Vielzahl von Ansätzen aus der Komplementärmedizin enthält. Die Ziele umfassender Lebensstilmodifikationsprogramme ist bzw. wären die Entwicklung eines eigenverantwortlichen und gesundheitsfördernden Lebensstils sowie das Erlernen von Selbsthilfestrategien. Vor allem kann so eine Verbesserung der Lebensqualität und der psychischen Gesundheit erreicht werden.
Für Empfehlungen weiterer komplementärmedizinischer Verfahren reicht die Datengrundlage nach wie vor nicht aus. Allerdings werden im Hintergrundtext Granatapfelextrakt, Boswellia serrata, HMPL-004 (mit Andrographis paniculata als Hauptbestandteil), Weizengrassaft, Nachtkerzenöl, Aloe-vera-Gel, Silymarin und ein Blaubeerpräparat als grundsätzlich vielversprechend erwähnt. In Tabelle 1 sind die in der Leitlinienaktualisierung enthaltenen komplementären Therapieverfahren zusammengefasst. Nun sind qualitativ hochwertige klinische Studien nötig, um diese Therapieansätze weiter zu erforschen, sodass sie gegebenenfalls in der 2022 anstehenden Leitlinienaktualisierung ein eigenes Statement erhalten können oder ihnen eine Empfehlung - positiv oder negativ - ausgesprochen werden kann. Die Durchführung klinischer Studien kann natürlich auch dazu führen, dass initial vielversprechende Therapieansätze aufgrund neuer Erkenntnisse verworfen werden müssen. So war es z.B. bei den Eiern des Schweinepeitschenbandwurms (Trichuris suis ovata). Im Jahr 2011 noch als vielversprechende Therapiemöglichkeit aufgeführt, wurde diese Option nun aufgrund von 2 negativ ausgefallenen großen randomisiert-kontrollierten Studien - 1 aus Europa und 1 aus Nordamerika - zur Remissionsinduktion bei Morbus Crohn verworfen und wird als mögliche Therapie bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen - und somit auch Colitis ulcerosa - generell nicht weiter verfolgt [6].
Komplementärmedizinische Verfahren der aktualisierten AWMF-S3-Leitlinie «Diagnostik und Therapie der Colitis ulcerosa»

Interessant innerhalb dieser Leitlinienaktualisierung ist zudem die leicht modifizierte Strukturierung des Inhaltsverzeichnisses: Während das letzte Unterkapitel der gesamten Leitlinie im Jahr 2011 als «Komplementär- und Alternativmedizin» aufgeführt war, heißt dieses nun «Ernährung und komplementäre Verfahren». Das wichtigste Fazit der Leitlinienaktualisierung ist wohl die Erkenntnis, dass die Thematisierung und Etablierung komplementärmedizinischer Verfahren in der Therapie der Colitis ulcerosa weiter voranschreiten. Und das ist wichtig: Nach wie vor wendet ein Großteil der Betroffenen komplementärmedizinische Verfahren an - sei es mit oder ohne Wissen und Zustimmung des behandelnden Arztes [7,8]. Deswegen ist es unabdingbar, dass sich das medizinische Personal über die Möglichkeiten der Integrativen Medizin informiert (Empfehlung 6.2.4: «Aufgrund des hohen Anteils an Patienten, die komplementärmedizinische Therapien anwenden, sollten Ärzte sich über diese Verfahren informieren»).
Künftig ist es demnach wünschenswert, dass im Sinne einer Integrativen Medizin zwischen Patienten und Ärzten ein offener Dialog über die Möglichkeiten und die Grenzen von komplementären Methoden geführt wird. Dabei sind aktuelle Fortschritte und Erkenntnisse zu berücksichtigen, um so der unkritischen Anwendung komplementärer und der Vernachlässigung konventioneller Medizin entgegenzuwirken. Nur so können die evidenzbasierten komplementärmedizinischen Verfahren ihren berechtigten Stellenwert sowohl innerhalb der medizinischen Leitlinien als auch im Behandlungsalltag erhalten.
Disclosure Statement
Die Autoren geben an, dass sie eine Forschungsförderung der Rut- und Klaus-Bahlsen-Stiftung erhalten haben. Diese Forschungsförderung hat keinen Einfluss auf die Inhalte/Ergebnisse des vorliegenden Editorials.