Zusammenfassung
Hintergrund: In einer kürzlich durchgeführten Studie konnten Probanden bei der Akupunktur eine Stimulation mittels «therapeutischem Qi» wahrnehmen, obwohl mechanische und psychologische Faktoren ausgeschlossen wurden. Nun untersuchten wir, ob das therapeutische Qi auch die Herzratenvariabilität messbar beeinflusst. Methoden: Es handelte sich um eine randomisierte, kontrollierte, einfach verblindete Crossover-Studie mit 30 Probanden. Mithilfe einer Vorrichtung wurde eine Akupunkturnadel in den Akupunkt Pe6 eingeführt. Mit einer weiteren Vorrichtung wurde der herausragende Teil der Nadel so fixiert, dass bei Berührung des Nadelendes die Übertragung von mechanischen Bewegungen auf die Nadelspitze ausgeschlossen werden konnte. Bei der anschließenden Prüfintervention wurde das Nadelende zur Stimulation des Qi durch den Therapeuten berührt, bei der Kontrollintervention wurde die Nadel nicht berührt, sodass das Qi nicht stimuliert wurde. Bei der Nullintervention wurde keine Nadel gesetzt. Bei jeder Intervention wurden jeweils vorher und nachher Parameter der Herzratenvariabilität (HRV) ermittelt. Ergebnisse: Zwischen den drei Interventionen konnten keine signifikanten Unterschiede der HRV-Parameter festgestellt werden. Zwischen Baseline- und Endmessung sank die Herzfrequenz bei der Kontroll- und Prüfintervention (-2 min-1, d = 0,24 bzw. -2 min-1, d = 0,24), die RMSSD stieg mit der Nadelberührung bzw. der Stimulation des Qi signifikant an (+9.7 ms, d = -0.32). Schlussfolgerung: Die zuvor subjektiv wahrgenommene Stimulation mit therapeutischem Qi konnte innerhalb dieses Settings anhand von HRV-Parametern nicht ausreichend bestätigt werden.
Keywords
Acupuncture · Heart rate variability · Neiguan · Acupuncture mechanism · Qi · Autonomic nervous system · Heart rate · Randomized controlled trial · Traditional Chinese Medicine · Qigong
Summary
Influence of Therapeutic Qi on Heart Rate Variability in Acupuncture: a Randomized Controlled Study
Background: In a recent acupuncture study, volunteers were able to sense stimulation by ‘therapeutic Qi' even when mechanical and psychological causes were excluded. Here, we investigated if ‘therapeutic Qi' also influences the heart rate variability. Methods: This was a controlled, randomized, single-blind crossover study with 30 volunteers. Using a special device, an acupuncture needle was inserted in the acupuncture point Pe6. With another device, the protruding end of the needle was fixed so that no transmission of mechanical movement to the tip was possible when the handle was touched. During the experimental intervention, the therapist touched the handle of the needle to stimulate Qi. During the control intervention, the needle was left untouched. During the null intervention, no needle was inserted. Before and after the interventions, parameters of heart rate variability (HRV) were measured. Results: Between the 3 interventions no significant differences in HRV parameters were observed. From pre- to post-measurement the heart rate decreased in the control and experimental interventions (-2 min-1, d = 0.24 and -2 min-1, d = 0.24, respectively), RMSSD increased significantly when the needle was touched and Qi was stimulated (+9.7 ms, d = -0.32). Conclusion: Within this setting the subjectively perceived stimulation with therapeutic Qi could not be confirmed by using objective HRV measures.
Einführung
Für die Akupunkturforschung gewann die Analyse der Herzratenvariabilität (HRV) in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung [1]. Das menschliche Herz schlägt in einem variablen Rhythmus, der primär vom vegetativen Nervensystem vorgegeben wird. Während die parasympathische Aktivierung die Herzschlagfrequenz verringert, erhöht die sympathische Aktivierung die Herzschlagfrequenz [2]. Das ist vergleichbar mit Yin und Yang (chin: Yīn Yáng, 阴阳), den Grundprinzipien der Chinesischen Medizin [3]. Der Yin-Aspekt verkörpert die Ressourcen und das Potenzial, welche durch Erholung und Regeneration im parasympathischen Zustand konsolidiert werden; der Yang-Aspekt entspricht der Leistungskraft, die durch die sympathische Aktivierung mobilisiert wird. Der weiße Punkt im schwarzen Teil der Yin-Yang-Darstellung, das sogenannte Yang im Yin, könnte mit der parasympathischen Modulation verglichen werden, welche schnell und hochfrequent (0,15-0,40 Hz) erfolgt, während die sympathische Modulation, das Yin im Yang, im vergleichsweise niederfrequenten (0,04-0l15 Hz) Bereich liegt.
Gemäß dem naturphilosophischen Verständnis der Chinesischen Medizin basiert die Wirkung von Akupunktur auf Qi (chin: Qì, 气), welches in einem körperweit verzweigten Netzwerk fließt und insbesondere an den Akupunkten mittels Nadeln reguliert werden kann [4]. Qi wird als die universale Energie betrachtet, aus der alles Existierende besteht, sowohl stoffliche, wie auch nicht-stoffliche Aspekte [3,4,5].
Das Praktizieren von Übungen, welche die Qualität und Dynamik von Qi positiv beeinflussen sollen, wird Qi Gong genannt (chin: Qì Gōng, 气功, deutsch: 'Energie-Arbeit') [6]. Der positive Einfluss von Qi Gong wurde einerseits bei den Praktizierenden selbst beobachtet [7,8], andererseits führte durch das Qi Gong hervorgebrachte externe Qi bei verschiedenen Krebszelllinien zur Apoptose [9,10,11]. Dementsprechend wird bei Anwendung von Akupunktur in der Chinesischen Medizin versucht, das Qi des Patienten positiv zu beeinflussen [12]. Wir gehen davon aus, dass - ähnlich wie beim Qi Gong - das häufige Praktizieren von Akupunktur zu einer Art von Konditionierung der Effekte führen könnte.
In einer kürzlich von uns durchgeführten Studie konnten Probanden die Stimulation einer Akupunkturnadel mittels therapeutischem Qi subjektiv wahrnehmen, obwohl mechanische und psychologische Faktoren ausgeschlossen wurden [13]. Das Ziel der vorliegenden Studie war nun zu untersuchen, ob das therapeutische Qi auch einen Einfluss auf objektiv messbare Parameter wie die HRV hat. Dazu wählten wir den Akupunkturpunkt Pe6, dessen Einfluss auf das vegetative Nervensystem bereits bekannt ist [14].
Methoden
Studiendesign
Versuchsaufbau und Hilfsmittel
Zur Verblindung wurden verschiedene Vorkehrungen getroffen [17]. Zunächst streckte der liegende Proband seinen rechten Unterarm durch einen Sichtschutz hindurch und legte ihn in den Veliusator. Mit dem Akuplikator wurde dort eine Akupunkturnadel in den Akupunkturpunkt Pe6 (chin: Nèi Guān, 内关) insertiert (Abb. 1a). Der Akuplikator erlaubt die standardisierte Nadelinsertion mit gleichbleibender Kraft bzw. Einstichtiefe (durchschnittlich 12,3 ± 1,5 mm [17]) und ohne, dass die Nadel von der Prüfperson berührt werden muss. Danach wurde der herausragende Teil der Nadel im Veliusator von zwei Klemmbacken fixiert (Abb. 1b). In der Prüfphase wurde das Nadelende zwar vom Akupunkteur berührt, der Veliusator verhinderte jedoch die Übertragung von mechanischen Bewegungen auf die Nadelspitze (Abb. 1c).
Die zur Verblindung verwendeten Vorrichtungen Akuplikator und Veliusator.
Versuchsablauf
Der Versuchsablauf wird in Abbildung 2 auf einer Zeitachse dargestellt. Zunächst wurde jeder Proband über den Ablauf instruiert und gebeten, sich auf die Behandlungsliege zu legen. Auf die Probemessung mit dem HRV-Gerät folgten eine Pause und dann die Baselinemessung. Danach wurde eine der drei 10-minutigen Interventionen durch Würfeln bestimmt und durchgeführt. Bei der Nullintervention (A) verweilten die Probanden liegend in einer Ruhephase ohne weitere Intervention. Bei der Kontrollintervention (B) wurde die Akupunkturnadel zwar insertiert und fixiert, jedoch vom Therapeuten nicht berührt und somit auch nicht energetisch stimuliert. Bei der Prüfintervention (C) wurde die Akupunkturnadel insertiert, fixiert, und das aus dem Veliusator herausragende Nadelende wurde vom Therapeuten zur Stimulation des Qi berührt. Nach der jeweiligen Interventionsphase wurde die Nadel entnommen und die Endmessung durchgeführt. Die drei Interventionen wurden bei identischem Setting mit jedem Probanden an jeweils verschiedenen Tagen zwischen März und Dezember 2013 in den Behandlungsräumen des Tao Chi, Schweizerische Fachschule für Chinesische Medizin in Zürich durchgeführt.
Akupunkturnadeln
Eingesetzt wurden sterilisierte Einweg-Akupunkturnadeln mit zylinderförmigem Schaft aus materialgleichem Spiraldraht sowie Führungsröhrchen des Herstellers Haeng Lim Seo Won, Seoul, Korea. Die Nadelabmessung inklusive Schaft betrug 0,30 × 59,8 mm. Die Polyethylen-Führungsröhrchen (0,18/0,28 × 55 mm) wurden im Versuch auf 46,8 mm gekürzt.
HRV-Messgerät
Zur Aufzeichnung des Elektrokardiogramms wurde ein Prototyp des UBW (Universal Body Wave) Mobile Phone vom I.M.I. Ltd. - Swiss Independent Institute for Medical Innovation, Wanchai, Hong Kong, China verwendet. Bei diesem Gerät handelt es sich um ein handelsübliches Mobiltelefon, welches hardwareseitig mit drei elektronischen und einer optischen Diode sowie softwareseitig mit einem Messprogramm aufgerüstet wurde. Messperiodendauer: 140 s, Abtastrate: 500 Hz, Störsignalschwelle: 100 dB, Auflösung <2.7 mV/bit bei 19 bit, Messfehlertoleranz: 97%. Das Gerät wurde bei vergleichbaren Studien eingesetzt [15,16].
Probanden
Die Probanden waren im Alter zwischen 23 und 56 Jahren (27 Frauen und 3 Männer). Es handelte sich um Studierende und Personal der Tao Chi, Schweizerische Fachschule für Chinesische Medizin in Zürich. Ausschlusskriterien waren Herzerkrankungen, Einnahme von Medikamenten mit Einfluss auf Herz oder Nervensystem, Diabetes mellitus, Schilddrüsenerkrankungen, Hypertonie, Herzschrittmacher und sichtbar fortgeschrittene Schwangerschaft. Die Probanden meldeten sich freiwillig für den Versuch und unterzeichneten eine Einverständniserklärung. Die zuständige Ethikkommission (Ethikkommission des Kantons Zürich) äußerte keine Bedenken gegenüber dem Versuch.
Therapeut
Der Therapeut (R.J.H.) verfügt über mehr als 10 Jahre praktische Erfahrung sowie über eine fundierte Ausbildung in Chinesischer Medizin und Akupunktur von mehr als 3500 h. Zum Zeitpunkt der Studie dozierte er an der Tao Chi, Schweizerische Fachschule für Chinesische Medizin in Zürich. Sämtliche Versuchsschritte wie Instruktion und Randomisierung, Stimulation der Nadel etc. wurden von ihm durchgeführt.
Endpunkte
In Tabelle 1 werden die in dieser Studie berücksichtigten Endpunkte bzw. Parameter aufgeführt.
Statistische Auswertung
Die Daten wurden anonymisiert und in IBM SPSS (Version 21, Armonk, NY, USA) statistisch ausgewertet. Da die Werte und auch die Differenzen der Variablen zwischen Baselinemessung und Endmessung nicht normalverteilt waren, wurden der Wilcoxon-Test und der Friedman-Test verwendet. P < 0,05 wurde als statistisch signifikant betrachtet.
Ergebnisse
Insgesamt konnten Daten von 24 Probanden à 3 Treffen ausgewertet werden (Tab. 2). Bei fünf Probanden war die HRV-Messung aus technischen Gründen nicht möglich; eine Probandin erschien aus persönlichen Gründen nicht zum dritten Treffen.
Die Herzfrequenz sank zwischen der Baseline und der Endmessung bei der Nullintervention tendenziell (Effektgröße und 95%-Konfidenzintervall (KI): d = 0,13 (-0,44, 0,69)) und bei der Prüfintervention (d = 0,24 (-0,33, 0,81)) und der Kontrollintervention (d = 0,24 (-0.33, 0,80)) signifikant ab. Bei der Prüfintervention erhöhte sich die RMSSD (root mean square of successive differences) signifikant (d = -0,32 (-0,88, 0,26)) gegenüber der Baselinemessung. Zwischen den drei Interventionen fanden sich keine signifikanten Unterschiede.
Diskussion und Schlussfolgerung
In einem kürzlich publizierten Review zu Akupunktur und HRV [1] zeigten 14 Studien homogene Resultate, mit einer durchgehenden Erhöhung der hohen Frequenzanteile (HF) und einer Senkung des Verhältnisses zwischen niedrigen- und hohen Frequenzanteilen (LF:HF), sowohl bei Kranken wie auch bei Gesunden. Doch nicht bei allen Studien kam es zu den gleichen Resultaten. So führte beispielsweise die Untersuchung mit Akupunktur bei gesunden Probanden an Pe6 und einem benachbarten Sham-Punkt zu keinen messbaren Veränderungen der LF, der HF oder des LF:HF [21]. Bei einer weiteren Untersuchung an gesunden Probanden bewirkte Akupunktur und Sham-Akupunktur an Pe6 die Erhöhung des durchschnittlichen RR-Intervalls, aber nur bei Verum-Akupunktur konnte eine Erhöhung der normalisierten HF und der Standardabweichung des RR-Intervalls festgestellt werden
Während mit Laser-Akupunktur (685 nm und 880-950 nm) an Pe6 bei gesunden Männern keine Veränderungen der HRV-Parameter ermittelt werden konnten [22], wurde bei einem Versuch mit blauem Laserlicht (405 nm) in der Verumgrupppe eine gesenkte Herzfrequenzrate gemessen, nicht aber in der Kontrollgruppe, wo der Laser deaktiviert war [23]. Da die Laser-Akupunktur keine mechanische Komponente aufweist, könnte sie über andere Mechanismen wirken, wodurch das Ausbleiben von Veränderungen der HRV-Parameter aber nicht vollständig erklärt werden kann.
In einer Studie zu HRV und Elektrogastrographie wurden Pe6 und Ma36 einmal mit und einmal ohne Stimulation akupunktiert [24]. Die Stimulation der Akupunkturnadeln durch Rotation führte zu einer Veränderung der Anteile von Normo-, Brady- und Tachygastrie im Elektrogastrogramm. Von den gemessenen HRV-Parametern erhöhte sich durch die Akupunktur mit Stimulation ausschließlich die RMSSD. Daraus folgerten die Autoren der Studie, dass es sich bei der Nadelstimulation um einen wichtigen Faktor in der Akupunktur handle.
Ein japanisches Forscherteam verglich den Effekt der benachbarten Akupunkturpunkte Ren16 und Ren17 [25]. Die Stimulation von Ren16 zeigte keinen messbaren Effekt auf die HRV, die Stimulation von Ren17 bewirkte hingegen eine signifikante Veränderung von Puls, HF und LF. Es ist anzumerken, dass für diese Studie minimalinvasiv akupunktiert wurde, also mit ca. 20 g Insertionsdruck und sofortiger Entfernung der Nadel ca. 1 s nach Erreichen einer Einstichtiefe von 5-7 mm. Die Nadeln wurden nicht stimuliert, es wurde kein De Qi (die vom Patienten oder Therapeuten wahrgenommene ‘energetische' Empfindung [12,26]) provoziert, und der therapeutische Kontakt wurde auf das Mindestmaß reduziert.
Es ist ungeklärt, weshalb in einigen Studien der Einfluss von Akupunktur an Pe6 auf die HRV ermittelt werden konnte und in anderen nicht. Ein Grund könnte sein, dass Akupunktur regulierend wirkt. So reagieren beispielsweise Kranke anders auf Akupunktur als Gesunde, wie unter anderem in Studien mit funktioneller Magnetresonanztomographie gezeigt werden konnte [27].
Unter den hier gewählten Bedingungen konnten wir den zuvor subjektiv wahrgenommenen Unterschied zwischen Stimulation mit ‘therapeutischem Qi' (durch Berührung, aber ohne mechanische Bewegung der Nadel) und keiner Stimulation anhand von objektiven HRV-Parametern nicht eindeutig bestätigen. Allerdings war die Interventionsdauer mit 10 min eher kurz, im Verhältnis zu vergleichbaren Studien, in denen 20-30 min mit Akupunktur interveniert wurde [1]. Außerdem vermuten wir, dass anstelle der hier punktuell (vorher/nachher) durchgeführten Messung ein durchgehendes Elektrokardiogramm aussagekräftigere Daten zur Ermittlung von Veränderungen der HRV ergeben würde.
Dank
Wir danken der Schweizerischen Berufsorganization für Traditionelle Chinesische Medizin (SBO-TCM) sowie Ann St. Clair Renard für die finanzielle Unterstützung zur Freischaltung (open access) dieser Publikation.
Disclosure Statement
Die Autoren erklären hiermit, dass keinerlei Interessenskonflikte in Bezug auf dieses Manuskript bestehen.